„Alle Mitarbeiterinnen des Projekts sind sehr kompetent, freundlich und engagiert!“
Festakt zum 25. Österreichischen Journalisten-Kolleg
Andrea Backhaus stellt die Frage: Was wären Krisen ohne Journalisten?
Festrede zur Zertifikatsverleihung des 25. Österreichischen Journalisten-Kollegs
Fotos: Birgit Kaltenböck
Wir erleben gerade Krisenzeiten allerorts: In Europa greifen antidemokratische Bewegungen wie die AfD oder die Identitären mit ihren dumpfen völkischen Slogans unsere Grundwerte einer toleranten und offenen Gesellschaft an. Der Brexit sowie die große Unterstützung von Rechtspopulisten, etwa einer Marine Le Pen in Frankreich oder eines offen homo- und islamophoben Geerd Wilders in Holland, offenbaren auf beunruhigende Weise, wie weit verbreitet Hass und Ressentiments tatsächlich sind. Das zeigt sich auch in der immer höheren Frequenz von Anschlägen, die mal auf das Konto von islamistischen Terroristen, mal auf das Konto von Muslimfeinden gehen.
Unter Donald Trump werden in den USA, also einem Staat, der einst als größte Demokratie der Welt galt, Presse- und Meinungsfreiheit beschnitten, Rassismus, Isolationismus, Korruption und Willkür salonfähig gemacht – das sind autoritäre Herrschaftsprinzipien, wie wir sie bisher eigentlich nur von den Autokraten etwa im Nahen Osten kannten. Und apropos Naher Osten: Dort führt der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat nicht nur zu massiver Flucht und Vertreibung. Auch bedingt das Erstarken von Despoten wie einem al-Sissi in Ägypten, einem Erdogan in der Türkei oder Assad in Syrien nur noch mehr Gewalt und Terror. Unruhe und Konflikte scheinen nicht enden zu wollen.
Neugier zählt dabei noch immer zu den wertvollsten Eigenschaften eines Journalisten. Ich bin nach meiner Journalisten-Ausbildung nach Kairo gezogen, um dort frei zu schreiben (und meinem Dozenten zu beweisen, dass er völlig falsch lag). Ich hatte vorher schon viel über den Nahen Osten berichtet, war nach Israel und Palästina, nach Jordanien, Libanon, in den Maghreb und an den Golf gereist, um zu verstehen, was in dieser „sogenannten Arabischen Welt“ eigentlich so vor sich geht. Ich hatte viele Freunde, die bei den Revolutionen 2011 dabei waren, vor allem viele Ägypter, die auf dem Tarhir-Platz für Freiheit und soziale Gerechtigkeit gekämpft und mit ihren Protesten den Langzeitdespoten Hosni Mubarak gestürzt hatten. Und ich wollte wissen, wie es mit ihnen nun weiterging. Also stand ich an einem heißen Sommertag 2013 mit einem Koffer in meiner WG in Kairo. Eigentlich wollte ich nur ein halbes Jahr bleiben, am Ende wurden es fast drei Jahre.
Denn kurze Zeit nach meiner Ankunft wurde der Präsident Mohammed Mursi gestürzt, und das Militär ergriff die Macht. Das ganze Land war im Umbruch. Es gab Straßenschlachten, gewaltsame Protestmärsche, Schießereien. Ich berichtete als freie Journalistin über die brutale Verfolgung der Muslimbrüder, der Aktivisten, Künstler und Journalisten.
Ich schrieb über die Proteste und Sit-Ins der Oppositionellen, die Selbstverteidigungskurse der Frauen, interviewte Politiker, Lehrerinnen, einstige Gefangene, Schuhverkäufer und Taxifahrer. Ihre Erfahrungen und Perspektiven waren wichtig, um auch den deutschsprachigen Lesern nahe zu bringen, was in Ägypten in jenen Tagen passierte.
Einfach war das Arbeiten dort nicht, wuchs doch mit jedem Tag die nationale Paranoia, wurden wir Journalisten zunehmend zur Angriffsfläche. Ich erlebte, wie einige Kollegen inhaftiert wurden, und andere im Untergrund verschwanden. Ein Kollege sagte mal: Wenn Reporter selbst zum Thema würden, sei das ein beängstigendes Zeugnis der gegenwärtigen Lage. In Ägypten waren wir Journalisten längst keine Beobachter mehr, sondern Teil eines gefährlichen Diskurses.
Auch außerhalb Ägyptens ist es nicht einfach, etwa wenn man wie ich als Journalistin in Krisengebiete reist, um dort mit Vertriebenen und schwer traumatisierten Menschen zu sprechen, wenn man Folteropfer trifft oder Frauen, die gerade so dem IS entkommen sind und von ihren qualvollen Erlebnissen in der Gefangenschaft etwa in Rakka oder Mossul berichten. Viele Journalisten stoßen im Laufe ihres Berufslebens immer wieder auch an ihre Grenzen.
Als Frau merkt man schnell, wie unterschiedlich das Berichten in bestimmten Regionen sein kann: Während Männer sich in vielen Regionen der Welt weder einschränken noch verstellen müssen, kommen Frauen oft nicht umhin, sich den lokalen Traditionen anzupassen. Als kritische Fragestellerin hat man es in vielen Gegenden des Nahen Ostens nach wie vor nicht leicht. Und doch: Als weiblicher Reporter erhält man immer wieder Einblicke in Welten, die Männern in der Regel verschlossen bleiben. Ich erinnere mich etwa an schockierend offene Gespräche mit Frauen im Nildelta über deren sexuelle Vorlieben und Praktiken. Die Frauen sprachen mit mir so unbefangen, dass ich selbst als abgehärtete westliche Frau immer wieder rot wurde – und viel darüber lernte, was in ägyptischen Schlafzimmern eigentlich so passiert.
Man kann nicht oft genug betonen, wie wichtig solche Erfahrungen gerade für Journalisten sind, und vor allem für junge Journalisten sind. Als Reporter muss man sich permanent aus der eigenen Komfortzone bewegen, in unterschiedlichen Welten unterwegs sein, um Menschen eine Stimme geben zu können, die sonst nie gehört werden: Das ist zum Beispiel der Familienvater in einem Flüchtlingslager im Irak, oder die junge Tunesierin, die Kampfsport macht und für sexuelle Aufklärung kämpft. Aber das ist auch der Nachbar in Wien oder Salzburg, der in seiner Freizeit Integrationsprojekte anstößt, oder der Sozialarbeiter, der tagtäglich versucht, Jugendliche vor der Drogensucht zu bewahren.
Das ist es, was Journalismus im besten Falle leisten kann: Er öffnet Türen zu Welten, die anderen Menschen verschlossen bleiben. Er gibt uns die Chance, mit Menschen zu sprechen, die außerhalb unserer Filterblase leben. Er ermöglicht uns Einblicke in unterschiedliche Gesellschaftsschichten und Lebensweisen. Das ist ein großes Privileg und die damit verbundene Verantwortung sollte uns Journalisten vor allem eines lehren: Demut.
Es gibt so ein Zitat, das Journalistenschüler immer zu hören bekommen und es lautet: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“ Ihr kennt ihn sicher alle. Der Satz stammt vom ehemaligen Tagesthemen-Moderator Hanns Joachim Friedrichs. Er steht für eine der scheinbar unumstößlichen Wahrheiten, an der sich junge und ältere Journalisten orientieren sollen: das Objektivitäts-Dogma.
Ich habe mich daran immer gestört, und das nicht nur, weil es weder die eine große Wahrheit noch die absolute Neutralität und ergo Objektivität gibt. Das trifft vor allem dann zu, wenn man in Krisensituationen unterwegs ist.
Natürlich werdet ihr in eurer journalistischen Laufbahn immer wieder in Situationen kommen, in denen ihr euch unter Druck fühlt: Da wird es Menschenrechtsorganisationen geben, die euch lieber als Aktivisten sehen wollen, Unternehmer, die euch als Werbeinstrument missbrauchen wollen, Politiker, die bei euch eine Bühne finden wollen. Ich selbst erlebe das im Nahen Osten immer wieder: Jede religiöse oder politische Gruppe möchte einen auf irgendeine Art und Weise instrumentalisieren und verbreitet mitunter Propaganda, um die jeweils andere Seite zu diskreditieren. Da muss man als Journalist einen Schritt zurückgehen, die Dinge und Aussagen kritisch einordnen, Distanz zu allen Seiten wahren.
Aber aus meiner Sicht gibt es noch ein anderes, viel wichtigeres Merkmal, das einen guten Journalisten ausmacht: Haltung.
Zum Beispiel beim Thema Islam, eine Religion, die zunehmend mit Vorurteilen behaftet ist. Muslime sind für viele zum Feindbild geworden. In Deutschland und Österreich ist die Stimmung spätestens seit der Ankunft der Flüchtlinge aus Syrien aufgeheizt. In vielen Kommentaren, die auch ZEIT ONLINE, oft auch mich persönlich erreichen, zeigt sich unverhohlener Hass.
Zugleich scheinen die wenigsten zu wissen, was der Islam eigentlich ist. Lässt sich mit ihm wirklich die Gewalt von Terroristen begründen? Steht er für eine Benachteiligung der Frau, eine Unterdrückung der Sexualität? Journalisten gehen diesen Fragen selten fundiert nach. Und das, obwohl es viele Wissenschaftler und Experten gibt, die sich intensiv mit der Religion befassen.
Stattdessen wird „der Islam“ zumeist sehr verkürzt dargestellt, oft auch falsch. Im Dreischritt spricht man von Muslimen, dann von Islamisten, schließlich von Terroristen. Auch wenn die Gewalt im Namen des Islam vor allem eine Pervertierung der Religion darstellt – und nicht, wie oft vermittelt wird, deren unmittelbarsten Ausdruck. Die negative mediale Darstellung vertieft die Spaltung in der Gesellschaft. Sie stützt den Dualismus eines: Wir Europäer gegen sie die Muslime. Eine Trennung, die übrigens auch der „IS“ propagiert. Damit spielen ihm die Medien unbewusst in die Hände.
Dann nämlich, wenn in medialen Debatten das Diktum wiederholt wird: Der Terror sei Ausdruck eines Kriegs der Zivilisationen. Oder auch: des Kampfs des Islams gegen den Westen. Solche diskursiven Verkürzungen stützen ein gefährliches Denkmuster: Jenes nämlich, dass sich da zwei unverrückbare Weltsichten gegenüber stehen: die extremistischen Ansichten des Islam und die Freizügigkeit der westlichen Demokratie. Diese Dualität steht einem echten Dialog im Weg. Dabei sollten gerade die Medien einen Austausch nicht verhindern, sondern befördern. Sie sollten Kategorisierungen vermeiden. Es gibt nicht „den Westen“, oder „die Arabische Welt“, auch nicht „die Flüchtlinge“, oder eben: „die Muslime“. Solche äußerlichen Zuschreibungen schaffen vermeintliche Vereinfachungen dort, wo Differenzierung wichtig wäre. Sie vermitteln eine falsch verstandene Homogenität, die Ausschluss fördert.
Die zunehmend ungehaltenen Hasskommentare im Netz sind ein Spiegel dieses Ausschlusses – und zugleich sein Motor. Mehr noch: Das Internet ermöglicht jedem, sich sein eigenes Weltbild zu konstruieren. Auf den unzähligen Blogs und Webseiten findet jeder die Bestätigung für seine noch so abwegigen Thesen. Fakten zählen kaum noch, Wahrheit ist vor allem ein Gefühl. Hier müssen wir Journalisten ansetzen. Durch auf Fakten basierende, differenzierte Berichterstattung. Noch mehr durch Haltung. Und den unermüdlichen Verweis auf das, was unsere Demokratien so wertvoll macht: Pluralität.
Es zeigt sich ja auch immer wieder, dass es vor allem vielen jüngeren Menschen weltweit um die gleichen Fragen geht: Wie können wir in Frieden leben, welche Gesellschaft wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Wir müssen auch gerade mit dieser Generation reden. Oder vielmehr: ihren vielfältigen Stimmen zuhören. Unterschiedlichkeit zuzulassen erfordert Mut. Genau den brauchen wir jetzt. Um Platz zu schaffen für viele verschiedene Lebensentwürfe, für Offenheit und Toleranz.
Journalisten spielen dabei eine ganz zentrale Rolle. Sie können durch ihre Themensetzung, ihre Wortwahl und Sprache, die sogenannte „Verkaufe“ ihrer Geschichten, durch ihren Zugang und ihre Recherche, maßgeblich dazu beitragen, Klischees und gängige Erwartungshaltungen von Lesern oder Zuschauern entweder zu bedienen oder zu durchkreuzen. Ich hoffe sehr, ihr setzt auf letzteres. Geht da raus, in die Welt, in eure Gemeinden, in eure Nachbardörfer, in die Communities, mit denen ihr bisher nur wenig zu tun hattet. Schaut euch die Dinge an, hört zu, hinterfragt alles, bleibt kritisch. Nehmt Gegenwind in Kauf und begegnet dem Hass im Internet, in den Sozialen Netzwerken oder auf der Straße, mit Wissen, guter Recherche und sauberem, transparentem Arbeiten. Macht euch angreifbar mit eurer Haltung, aber nicht durch schlecht recherchierte Geschichten. Habt den Mut, eine eigene Meinung zu haben.
(Rede gekürzt. Lesen Sie hier den vollständigen Text in der Druckversion.)